Der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten wird den von der Trump-Regierung eingesetzten International Emergency Economic Powers Act (IEEPA) zur Rechtfertigung von Zöllen voraussichtlich für nichtig erklären. Das Gesetz stammt aus den 1970er Jahren und ermöglicht dem Präsidenten die Ausrufung eines nationalen wirtschaftlichen Notstands. Vor der jüngsten Anhörung am 5. November lag die Wahrscheinlichkeit für ein Urteil zugunsten der präsidialen Nutzung des IEEPA laut der Ergebnis-Handelsplattform Kalshi noch bei rund 40 Prozent, seither ist sie jedoch auf etwa 20 Prozent gesunken.
Allerdings wird ein Urteil gegen die IEEPA-Zölle langfristig kaum einen Unterschied machen. Es könnte allenfalls zu kurzfristigen Unsicherheiten bei einzelnen Ausgestaltungen der Zölle kommen und die Märkte könnten sich vorübergehend wieder stärker auf das Haushaltsdefizit konzentrieren.
Denn unabhängig vom IEEPA und dem kommenden Urteil des Supreme Courts hatte der Kongress dem Präsidenten, ausdrückliche Zollbefugnisse eingeräumt – die Begründungen reichen von der Zahlungsbilanz bis hin zur nationalen Sicherheit. Diese Befugnisse sind im Vergleich zur IEEPA zwar enger gefasst, erfordern aber umfangreiche, zeitaufwändige Untersuchungen und/oder die Aufsicht durch den Kongress.
Der wesentliche Punkt bleibt bestehen: Selbst wenn das IEEPA außer Kraft gesetzt wird, verfügt der Präsident weiterhin über weitreichende Befugnisse für seine Handelsagenda. Während der IEEPA-Fall durch das US-Gerichtssystem lief, hat die Regierung bereits damit begonnen, die Grundlagen für eine Neugestaltung der aktuellen Zollpolitik über rechtlich tragfähigere Wege zu legen.
Daher dürfte der derzeitige durchschnittliche tatsächliche Zollsatz von 13 Prozent (laut Daten des Finanzministeriums) bestehen bleiben. Unternehmen, die sich angesichts der erhöhten politischen Unsicherheit bislang nur zögerlich angepasst haben, werden dies nun nachholen müssen.
Gleichzeitig könnten potenzielle Rückerstattungen der im Jahr 2025 gezahlten IEEPA-bezogenen Zölle den Unternehmen kurzfristig zusätzliche Flexibilität verschaffen. Allerdings wohl nur mit reichlich Verzögerung aufgrund komplexer Detailfragen.
Zweckmäßigkeit vs. rechtliche Legitimität
Zölle und Handelspolitik bildeten einen zentralen Schwerpunkt von Präsident Trumps Wahlkampf – und nach seinem Amtsantritt setzte er seine Ankündigungen rasch um. Er führte umfassende Zölle ein und entschied sich dafür, diese über das IEEPA zu verhängen – eine rechtlich bislang nicht geprüfte Nutzung der präsidialen Notstandsbefugnisse. Das IEEPA erwähnt Zölle zwar nicht ausdrücklich, sodass seine Anwendung in diesem Fall aufgehoben werden könnte. Dennoch verschaffte es der Regierung Zeit, um sich auf Basis von Untersuchungen des Handelsministeriums belastbarere juristische Positionen aufzubauen.
Das US-Handelsrecht räumt dem Präsidenten weitreichende – wenn auch nicht unbegrenzte – Befugnisse zur Verhängung von Zöllen ein. So erlaubt Abschnitt 232 des Trade Expansion Act von 1962 dem Präsidenten, Zölle oder Quoten auf bestimmte Produkte zu erheben, wenn das Handelsministerium zu dem Schluss kommt, dass Importe die nationale Sicherheit beeinträchtigen. Diese Befugnisse wurden unter Trump 2.0 für weitreichende Zölle auf Stahl, Aluminium, Autos und Autoteile genutzt.
Abschnitt 301 des Trade Act von 1974 gestattet dem Präsidenten, als Reaktion auf unfaire Handelspraktiken eines anderen Landes Zölle oder andere Beschränkungen zu verhängen. Die erste Trump-Regierung machte von dieser Möglichkeit im Fall Chinas Gebrauch, nachdem unfaire Praktiken wie Diebstahl geistigen Eigentums, erzwungene Technologietransfers und Diskriminierung festgestellt worden waren. Sowohl Abschnitt 232 als auch Abschnitt 301 setzen detaillierte Untersuchungen durch das Handelsministerium voraus.
Allgemeinere wirtschaftliche oder zahlungsbilanzbezogene Bedrohungen fallen unter Abschnitt 122 des Trade Act, was die Erhebung eines pauschalen Zollsatzes von 15 Prozent auf Importe ermöglicht, um die seit Jahrzehnten bestehenden großen Handelsdefizite der USA zu bekämpfen. Ohne die Zustimmung des Kongresses ist der Präsident jedoch auf eine Umsetzungsfrist von 150 Tagen beschränkt.
Quantitative Bewertung der IEEPA-Zölle
Präsident Trump hat mehr als die Hälfte der diesjährigen Zölle unter Berufung auf das IEEPA verhängt, darunter Maßnahmen gegen Mexiko, Kanada, chinesische Zölle im Zusammenhang mit Fentanyl sowie Gegenzölle auf verschiedene andere Länder. Gerichte der unteren Instanzen erklärten diese Zölle zwar für rechtswidrig, gestatteten jedoch deren Fortbestehen während des laufenden Rechtsstreits.
Während der Anhörung vor zwei Wochen machten die Richter des Obersten Gerichtshofs wenig überraschend deutlich, dass sie mit der Anwendung des IEEPA speziell zur Verhängung von Zöllen unzufrieden sind – nicht jedoch mit der allgemeinen Notstandserklärung des Präsidenten, die von den Vorinstanzen dargestellt. Dies legt den Grundstein für eine wahrscheinlich gegen den Präsidenten gerichtete Entscheidung.
Die IEEPA-Zölle erhöhen derzeit den effektiven US-Zollsatz von etwa 13,5 Prozent um rund 8 Prozentpunkte. Eine umfassende Entscheidung gegen die Anwendung des IEEPA durch die Regierung könnte den effektiven Satz somit um diesen Betrag senken, wobei auch eine enger gefasste Entscheidung möglich bleibt.
Wie Zölle wieder eingeführt werden könnten
Unabhängig von der Entscheidung des Gerichts ließe sich das Zollsystem mithilfe rechtlich belastbarerer Instrumente erneut einführen; die Grundlagen dafür sind bereits geschaffen. Laufende Untersuchungen gemäß Section 232 in den Bereichen Pharmazeutika, Technologie, Chemikalien und Rohstoffe würden es dem Präsidenten ermöglichen, die Zölle für eine Reihe von Produkten anzuheben. Ein neuer Satz von 25 Prozent auf Importe von Pharmazeutika und Halbleitern könnte den effektiven Zollsatz allein dadurch wieder auf über 10 Prozent steigern.
Ergänzend könnten Untersuchungen nach Section 301 gegenüber wichtigen Handelspartnern wie Europa, Japan und weiteren ostasiatischen Volkswirtschaften dazu führen, zuvor ausgehandelte Handelsabkommen wieder in Kraft zu setzen und die aktuellen Sätze wiederherzustellen.
Die Verhängung eines universellen Zollsatzes von 15 Prozent für bis zu sechs Monate unter Berufung auf Section 122 würde der Regierung zusätzliche Zeit verschaffen, neue Untersuchungen abzuschließen. In den Verhandlungen mit verschiedenen Handelspartnern sind die US-Importzölle bei 15 Prozent gelandet – ob Zufall oder nicht, genau auf dem Niveau, das Section 122 noch erlaubt.
Die IEEPA-Zölle auf China wurden von 20 auf 10 Prozent gesenkt. Laufende Untersuchungen nach Section 301 und 232 hätten jedoch das Potenzial, den effektiven Zollsatz für chinesische Importe wieder auf rund 35 Prozent anzuheben, falls das Gericht die verbleibenden 10 Prozent aufhebt.
Makroökonomische Auswirkungen
Änderungen der Zollpolitik könnten das langfristige US-Defizit von etwa 6 Prozent des BIP auf 6,5 bis 7 Prozent erhöhen, abhängig vom Ausgang der Gerichtsentscheidung. Setzt die Regierung jedoch schnell andere rechtliche Mittel ein, um die derzeitigen Zölle wieder einzuführen, beschränken sich die fiskalischen Auswirkungen auf Rückerstattungen von rund 100 Milliarden US-Dollar – ein vergleichsweise geringer Betrag im Verhältnis zum annualisierten US-Haushaltsdefizit von 1,8 Billionen US-Dollar. (Die betreffenden IEEPA-Zölle machen etwa 50 Prozent der bisher eingenommenen Zolleinnahmen von rund 200 Milliarden US-Dollar aus.)
Die Rückerstattungen könnten 2026 erfolgen und würden etwa 0,4 Prozentpunkte des BIP ausmachen. Dies würde einen zusätzlichen konjunkturellen Impuls erzeugen, insbesondere in Kombination mit einmaligen Zahlungen an Haushalte und Unternehmen aus den rückwirkenden Steuersenkungen des One Big Beautiful Bill Act. Unternehmen hätten so noch mehr Zeit, ihr Geschäft anzupassen. Gleichzeitig würden Anreize gesetzt, vor der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs einmal mehr Handelsaktivitäten vorzulagern.
Die Rückerstattungen könnten sich jedoch verzögern. Bei der Zoll- und Grenzschutzbehörde ist zwar ein bestimmtes Verfahren dafür vorgesehen, doch die meisten Zahlungen erfolgen weiterhin per Scheck und erfordern einen hohen Verwaltungsaufwand. Auf Handelsrecht spezialisierte Anwaltskanzleien empfehlen ihren Mandanten, die Unterlagen bereits jetzt, noch vor der Gerichtsentscheidung, vorzubereiten. Das Weiße Haus dürfte ohnehin über erheblichen Ermessensspielraum verfügen, um Rückerstattungen hinauszuzögern.
All diese Verzögerungen könnten die Fed bei Zinssenkungen vorsichtiger stimmen, sodass die Zinssätze für Unternehmen länger auf einem höheren Niveau verbleiben. Die Zölle könnten sich über längere Zeit in den Preisen niederschlagen und die Entscheidungsträger der Fed müssten dies gegen Risiken für den Arbeitsmarkt abwägen. Die Inflation könnte so 2026 weniger stark nach oben ausschlagen, dafür aber umso hartnäckiger bleiben. Die Arbeitslosenquote dürfte im Jahr 2026 sinken.
Fazit
Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs könnte Unternehmen eine einmalige Rückzahlung ermöglichen, auch wenn das Weiße Haus diese Rückerstattungen über einen längeren Zeitraum zurückhalten dürfte. Unabhängig davon werden sehr wahrscheinlich rechtlich belastbarere Zölle folgen, sollte der Supreme Court die IEEPA-Zölle nicht anerkennen. Unternehmen sehen sich somit mit einer harten Realität konfrontiert: Solange Präsident Trump im Amt ist bleiben die Zölle – wenn nicht sogar darüber hinaus.
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