Seit dem 9. April ist der S&P 500 um 11% gestiegen, und es naht der Tag, an dem Trump seine endgültigen Zollpläne bekannt geben will. Israel und der Iran kämpfen gegeneinander. Manche US-Konjunkturdaten verschlechtern sich. Der Sommer könnte heiß und unangenehm werden, aber noch sind nur wenige schlechte Nachrichten in den Kursen berücksichtigt. Manche Beobachter rechnen mit schlechten Zeiten für Anleihen – durch Inflationsrisiken, ausbleibende Zinssenkungen der Fed und neue Staatsschulden. Aber Anleihen bieten Rendite, sind liquide und gelten als sicherer Hafen. Aktien und Credits könnten bei zunehmenden Konjunkturrisiken stärker unter Druck geraten; Staatsanleihen steigen schon jetzt. Meist fallen im Sommer die Renditen. Dieses Jahr dürfte es ähnlich kommen.
FAT: Eine Zeit lang schien Forget About Trump das Motto der Investoren. Erstmals seit Februar ist der S&P 500 auf über 6.000 Punkte gestiegen, und auch andere Aktienmärkte erreichten neue Rekordhochs. Trotz Trumps „One, Big, Beautiful Bill“ und der drohenden Neuverschuldung sind die 30-Jahres-Renditen seit dem Hoch von 5,09% am 21. Mai um fast 30 Basispunkte gefallen, und auch die Credit Spreads gingen weiter zurück. Bei amerikanischen Investmentgrade-Anleihen glichen sie zuletzt mehr den Werten aus dem 1. Quartal als den Hochs nach Trumps Liberation Day. Die USA kündigten zwar neue Zölle auf Stahl und Aluminium an, doch erwarteten die Anleger Einigungen mit wichtigen Handelspartnern. Der Handelskrieg würde nicht ausufern, die weltwirtschaftlichen Folgen würden sich in Grenzen halten. Schwächeres Wachstum natürlich, aber kein Einbruch. Der amerikanische Präsident würde schon keinen erneuten Konjunktur- und Markteinbruch riskieren.
Heißer Sommer: Doch jetzt könnte auf den lauen Frühling ein langer, heißer, drückender Sommer folgen. Am 9. Juli will Trump wieder aktiv werden. Laut Bloomberg sollen seine Handelspartner Post bekommen – mit der Ankündigung bilateraler Zölle, falls man sich nicht einigt. Am Markt wird man das sehr genau verfolgen. Vielleicht treibt sein jüngster Reputationsverlust – etwa durch den Streit mit Elon Musk und das Nachspiel der Ausweisungsaktionen in Los Angeles – Trump zu einer aggressiveren Handelspolitik. Schwer zu prognostizieren – aber es spricht auch nichts wirklich für weitere Kursgewinne.
Die Marktentwicklung passt jedenfalls nicht zu einem schwächeren Konjunkturausblick. Bis Ende 2025, so die Erwartungen, senkt die Fed ihren Leitzins nur noch ein Mal um 25 Basispunkte. Aktien sind wieder sehr teuer, und die Credit Spreads sind wie schon erwähnt eng. Nach einer Vielzahl negativer Gewinnrevisionen seit Jahresbeginn sind die Analystenerwartungen jetzt wieder ausgewogener. Nach wie vor gehen sie davon aus, dass die Gewinne je Aktie beim S&P 500 um 10% steigen, von durchschnittlich 259 US-Dollar in diesem Jahr auf 294 US-Dollar im nächsten. Bei gleichbleibenden Kursen würde das Kurs-Gewinn-Verhältnis dann von 23,3 in diesem auf 20,6 im Jahr 2026 fallen. Die Bewertungen amerikanischer Aktien bleiben hoch. Zum Glück gibt es Technologieaktien.
Ein neuer Nahostkrieg? Die Märkte müssen nicht nur mit einer weiteren Eskalation des Handelskonflikts, sondern nach Israels Angriff auf iranische Militäreinrichtungen auch mit einer neuen internationalen Krise zurechtkommen. Der Ölpreisanstieg kommt nicht überraschend, ebenso wenig wie die fallenden Kurse von Aktienindex-Futures. Oft haben solche Schocks keine nachhaltigen Konsequenzen für Aktien. Das Risiko eines drastischen Ölpreisanstiegs bei einem andauernden Konflikt zwischen dem Iran und Israel macht die Konjunkturaussichten aber noch unsicherer.
Wenn die Preise steigen… Die US-Inflation ist zwar gefallen, aber Zölle und Ölpreise sprechen für eine gewisse Trendumkehr. Im Mai betrug die Verbraucherpreisinflation nur 2,4% z.Vj. bzw. 0,1% z.Vm., bei einer Kernrate von 2,8%. Die Fed hat ihr Inflationsziel noch immer nicht erreicht. Interessanterweise liefern die Daten kaum Hinweise darauf, dass die Zölle die Einzelhandelspreise steigen lassen. Eine Erklärung könnte sein, dass der Handel erst noch seine Lagerbestände aus der Zeit vor der Zolleinführung abverkauft. Schon bald werden die Preise dann aber zulegen, weil die Lager zu höheren Importpreisen wieder gefüllt werden müssen. Der amerikanische 1-Jahres-Nullcoupon-Inflationsswap, eine Art Derivat, notiert zurzeit bei 3,0%. Am 9. April waren es zwar 3,8%, aber vor einem Jahr nur 2,2%. Höhere Ölpreise, der anhaltend schwache Dollar und weitere Zölle könnten die US-Inflation anheizen. Die Fed hätte es dann noch schwerer.
Ich rechne in den kommenden Wochen mit mehr Marktvolatilität. Die seit Ende April fast vergessenen Konjunkturrisiken werden wieder aktuell, auch wenn viele Indikatoren noch recht stabil sind. Nach wie vor wächst die Beschäftigung, wenn auch nicht mehr ganz so schnell. Die Inflation läuft nicht aus dem Ruder. Aber sehen Sie sich einmal die Daten des Institute for Supply Management (ISM) an: Der Index für das Verarbeitende Gewerbe liegt, abgesehen von den 50,9 im Januar und den 50,3 im Februar, seit Oktober 2022 unter 50, was in der Theorie für eine schrumpfende Wirtschaft spricht. Die Einkaufspreise der Industrie¬unternehmen sind gestiegen, die Auftragseingänge sind schwach. Der ISM-Dienstleistungsindex fällt ebenfalls und lag letzten Monat nur noch bei 49,9.
Risiko ist teuer: Wenn sich die konjunkturelle und die politische Lage verschlechtern, sind Aktien am stärksten betroffen. Aber auch die Credit Spreads könnten steigen, obwohl die Fundamentaldaten hier noch recht stabil sind. Was bedeutet das für Anleihen? Trotz der hohen Gewinne im Juni kann die Anleihenrallye meiner Meinung nach noch weitergehen. Das gilt erst recht, wenn sich die Fed aufgrund der Datenlage in der zweiten Jahreshälfte zu Zinssenkungen gezwungen sieht. Im Sommer könnten Anleihen weiter vorn liegen. Auf jeden Fall gibt es gute Gründe für einen neuerlichen Anstieg der Volatilität: Zölle, das Haushaltsgesetz, Inflation, Unruhen in den USA und weltpolitische Schocks.
Also Anleihen? Soll man jetzt in Anleihen investieren? Es gibt viele Anleihenpessimisten. In vielen Ländern verschlechtern sich die Staatsfinanzen, heißt es. In den meisten Industrieländern, mit der wichtigen Ausnahme von Deutschland, sind die Schuldenstandsquoten in den letzten zehn Jahren deutlich gestiegen. Laut Internationalem Währungsfonds liegt der Quotient aus Staatsschulden und BIP in den USA, Großbritannien, Frankreich und Kanada jetzt über 100%, und für Japan werden dieses Jahr sogar 235% erwartet. Aber die Anleihenrenditen sind nicht gestiegen, und in manchen Ländern sind sie sogar deutlich niedriger als 2015. Den Anleihenbären wird das nicht gefallen. Bei steigenden Staatsschulden sollten die Renditen eigentlich zulegen – mit der Folge eines Teufelskreises aus höheren Schulden, steigendem Zinsaufwand und höheren Staatsdefiziten. Das Thema kommt und geht, aber eine echte Katastrophe gab es bislang nicht. Noch nicht. Am nächsten kamen wir ihr in der Eurokrise 2012. Damals fürchtete man, dass Mitgliedsländer ihre Staatsausgaben nicht mehr finanzieren könnten, wenn sie nicht genug für den Verbleib im Euroraum täten. Als die Griechenlandkrise schließlich gelöst war, sind die Spreads der sogenannten Peripherieländer gegenüber den Kernländern wieder gefallen.
Strukturell höhere Risikoprämien: Verstehen Sie mich nicht falsch. Die Fiskalpolitik ist ein Grund zur Sorge. Der Durchschnittscoupon der umlaufenden Anleihen ist heute viel niedriger als vor zehn Jahren, aber wegen der seit 2022 strafferen Geldpolitik steigt der Zinsaufwand. Man bemüht sich um eine kürzere Laufzeit der Staatsschulden, indem man mehr Kurzläufer begibt. Auch deshalb will Trump unbedingt, dass die Fed die Zinsen senkt; schließlich würde das den Schuldendienst verbilligen. Höhere Zinsen bei Schuldenstandsquoten über 100% wecken neue Zweifel an der Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen und hindern die Politik an Ausgaben für andere Dinge – Gesundheit, Bildung und produktive Investitionen. Extreme Anleihenbären glauben, dass die Regierungen irgendwann den Realwert ihrer Schulden verringern müssen – durch Defizitfinanzierung mit der Notenpresse und eine deutlich höhere Inflation.
Kurzfristig dürfte die nachlassende Risikobereitschaft helfen: Aber so weit sind wir noch nicht. Dennoch könnten die Märkte schnell und heftig auf schwächere Staatsfinanzen reagieren, wie in Großbritannien im September 2022 und in Frankreich im März 2024. Man muss strukturelle und konjunkturelle Risiken gegeneinander abwägen. Langfristig mag mit dauerhaft höheren Anleihenrenditen zu rechnen sein. Aber das schließt einen kurzfristigen Renditerückgang nicht aus, wenn die Konjunkturrisiken zunehmen und die Notenbanken die Zinsen senken. In einem heißen, drückenden, volatilen Sommer kann man mit Aktien mehr verlieren als mit Anleihen. Davon bin ich überzeugt.
www.fixed-income.org
