Die Frage nach der künftigen Volatilität von US-Staatsanleihen im Zuge der amerikanischen Wirtschafts- und Fiskalpolitik beansprucht momentan viel Aufmerksamkeit – es geht unter anderem um die Suche nach validen Alternativen und die Umverteilung von Kapital. In diesem Zusammenhang analysiert Nicola Mai, Portfoliomanager und Analyst für Staatsanleihen bei PIMCO, den europäischen Wirtschaftsraum, zeigt Perspektiven über die nächsten fünf Jahre auf und leitet konkrete Schlussfolgerungen für die Geldanlage am europäischen und deutschen Anleihemarkt ab.
Viel Schatten, aber auch Lichtblicke – so lautet die Gesamteinschätzung von Nicola Mai für die langfristigen Aussichten des europäischen Wirtschaftsraums. Für die nächsten fünf Jahre erwartet der Analyst ein im Vergleich zum Vor-Corona-Level schwächeres Wachstum von 0,5 Prozent. Neben den bekannten strukturellen Gründen sei dafür auch das veränderte globale Handelsumfeld verantwortlich, insbesondere das jüngste Zollabkommen zwischen den USA und Europa nimmt hierbei einen Stellenwert ein. Von Deutschlands erhöhten Verteidigungs- und Infrastrukturausgaben bzw. der fiskalischen Lockerung dürfe man sich weniger Impulse zur Ausweitung auf andere Länder erhoffen, anderswo würden derartige Ausgaben aufgrund angespannteren Haushaltslagen kaum über neue Schuldenaufnahmen finanziert werden, so der Experte. Die Inflationsrate verortet Mai langfristig unter dem Zielniveau von zwei Prozent, ebenso wie das neutrale Zinsniveau.
Bei den Lichtblicken führt Mai vor allem die institutionelle Stabilität der EU an. So sei die EZB ein verlässlicher Kreditgeber letzter Instanz und die Fähigkeit zur fiskalischen Zusammenarbeit habe sich jüngst am Wiederaufbaufonds „NextGenerationEU“ gezeigt. Und auch politische Angriffe auf die Daseinsberechtigung des Staatenbunds oder des Euros als gemeinsame Währung verlieren laut Mai an Schlagkraft – Grund dafür sei nicht zuletzt der verschärfte Konfrontationskurs in der globalen Wirtschaftspolitik.
Noch größer werden die Lichtblicke, wenn man den von Mai formulierten Implikationen für den europäischen Anleihemarkt folgt. Von deutschen Bundesanleihen verspricht er sich im Umfeld gedämpften Wachstums langfristige Stabilität und ordnet sie als wirksamer Diversifikator ein. Dazu trage auch die institutionelle Stärke der Währungsunion bei, welche außerdem für stabile Risikoaufschläge bei anderen Ländern und für den Bedeutungsverlust traditioneller Länderklassifizierungen sorge. Mit Blick auf die Laufzeiten von europäischen Staatsanleihen spielt für Mai die deutsche Fiskalpolitik eine zentrale Rolle – mit den erhöhten Staatsausgaben Deutschlands seien Renditeanstiege bei Langläufern zu erwarten, weshalb Mai auf kurze bis mittlere Laufzeiten setzt.
Bei Unternehmensanleihen attestiert Mai dem europäischen Markt Resilienz und den entsprechenden Unternehmen Routine im Umgang mit einer schwächelnden Konjunktur. Im Investment-Grade-Bereich sieht er vor allem bei mittleren Laufzeiten von ca. fünf Jahren Chancen, High-Yield betrachtet er als deutlich volatilitätsärmere Alternative zu Aktien bei ähnlichen Erträgen.
Zu guter Letzt könne der gesamte europäischen Anleihemarkt – sowohl Staats- als auch Unternehmensanleihen – längerfristig von einer Nachfrageverschiebung weg von den USA profitieren.
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