Im Mai rückten die japanischen Leitzinsen wieder ins Rampenlicht, als die Renditen 30-jähriger Staatsanleihen (JGB) erstmals seit über 25 Jahren die Marke von 3 Prozent überschritten. Damit einher ging eine deutliche Versteilerung der Renditekurve: Der Spread zwischen fünf- und 30-jährigen Laufzeiten überschritt zeitweise 200 Basispunkte. Japan weist somit eine der steilsten Zinskurven unter den entwickelten Märkten auf – im Vergleich zu US-Treasuries beträgt der Spread etwa das Doppelte. Für viele internationale Anleger, die aus der Zeit vor der Pandemie noch an äußerst niedrige oder gar negative JGB-Renditen gewöhnt waren, stellt das aktuelle Umfeld eine bemerkenswerte Zäsur dar: Auf US-Dollar abgesicherte 30-jährige JGBs rentieren mittlerweile bei über 7 Prozent.
Seit März 2024 stellen sich die japanische Wirtschaft und die Investoren auf eine neue Realität ein: Nach einer langen Phase außergewöhnlich lockerer Geldpolitik hat das Land den Kurswechsel vollzogen. Dies hat zu einer erhöhten Zinssatzvolatilität geführt – zuletzt sichtbar im Ausverkauf der JGBs am langen Ende. Damit rückt auch die Frage nach der langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen erneut in den Fokus, zumal die Schuldenquote des Landes seit Jahren über 200 Prozent des BIP liegt.
Auch wenn die fiskalischen Herausforderungen weiterhin bestehen – und sich voraussichtlich noch verschärfen werden – sind wir der Ansicht, dass die jüngste Volatilität Ausdruck einiger dem JGB-Markt eigenen Besonderheiten ist – wobei das lange Ende der Renditekurve zum Ventil für Zinsvolatilität wird. Vor diesem Hintergrund sind wir überzeugt, dass globale Investoren JGBs mit längeren Laufzeiten nicht isoliert, sondern im Gesamtkontext global steigender gLaufzeitprämien betrachten sollten. Das Zinsrisiko in Japan könnte durchaus Teil einer attraktiven globalen Duration-Allokation sein – eine bedeutende Veränderung gegenüber dem Jahrzehnt vor der Pandemie.
Zinskurve mit einzigartiger Angebots-/Nachfragedynamik
Nachdem die Bank of Japan im März 2024 von ihrer langjährige Politik der Negativzinsen und der aktiven Steuerung der Renditekurve abgerückt war, erhöhte sie die Zinsen zwei weitere Male und begann mit dem Abbau ihrer Bilanz.
Im Mai des vergangenen Jahres haben wir bereits darauf hingewiesen, dass der Übergang von einem weitgehend stabilen Umfeld mit niedrigen Zinsen und geringer Inflation zu einer Wirtschaft mit einer Inflation von 2 Prozent auch potenziell Schwachstellen offenlegen könnte, die die Volatilität erhöhen.
Tatsächlich haben die hohen Zinssätze und die volatilen Märkte Japans fiskalische Verwundbarkeit erneut in den Fokus gerückt. Laut Internationalem Währungsfonds (IWF) weist Japan mit über 230 Prozent die höchste Staatsverschuldung im Verhältnis zum BIP unter den entwickelten Volkswirtschaften auf – und liegt damit deutlich vor Italien (rund 140 %) und den USA (120 %). In der Vergangenheit galten die niedrigen und stabilen Zinssätze Japans – trotz dessen hoher Verschuldung – oft als Argument dafür, dass hohe bzw. steigende Staatsschulden per se kein Anlass zur Sorge sein müssen. Das gilt insbesondere für die USA.
Deutet der jüngste Anstieg der japanischen Langfristzinsen etwa darauf hin, dass die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt ein nicht mehr tragfähiges Verschuldungsniveau erreicht hat? Und könnte die Lage sogar Vorbote für Herausforderungen in anderen Ländern sein?
Wir halten es für wichtig hervorzuheben, dass ein Rückgang von Angebot und Nachfrage infolge hoher Verschuldung zwar häufig als Hauptursache für die Volatilität am JGB-Markt genannt wird. Ein Großteil der jüngsten Volatilität ist jedoch nicht auf erhöhte JGB-Emissionen, sondern vielmehr auf technische Faktoren zurückzuführen – unter anderem auf die Reduzierung der JGB-Käufe durch die Bank of Japan sowie auf Veränderungen in der Investorenstruktur.Die Anleiheemissionen in Japan haben während der Pandemie zwar deutlich zugenommen, ähnlich wie in anderen Industrieländern. Im Gegensatz zu den USA sind die JGB-Emissionen jedoch in den letzten Jahren, wenn auch langsam, zurückgegangen. Das Haushaltsdefizit hat sich laut Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) seit der Pandemie sogar leicht verbessert. Darüber hinaus hebt sich Japan über einen hohen Nettoauslandsvermögensstatus (NIIP) von anderen Ländern ab –im Jahr 2024 erreichte dieser fast 90 Prozent des nominalen Bruttoinlandsprodukts.
Wir sind der Ansicht, dass auf dem JGB-Markt eher ein strukturelles Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage besteht, das die japanische Renditekurve aus verschiedenen Gründen einzigartig macht:
• Lebensversicherungen, die lange Zeit eine bedeutende Rolle bei der Nachfrage nach langfristigen JGBs spielten, treten nicht mehr als strukturelle Käufer auf. Sie haben ihre aktuarischen Verbindlichkeiten weitestgehend gedeckt und agieren im Umfeld gestiegener Renditen als Nettoverkäufer.
• Wie von PIMCO schon im letzten Jahr angemerkt: Zwar liegt die Bruttoverschuldung Japans im Verhältnis zum BIP bei über 230 Prozent, jedoch sind in der konsolidierten Bilanz auch die JGB-Bestände der Bank of Japan enthalten, die etwa 100 Prozent des BIP entsprechen. Die BOJ hält über 50 Prozent der ausstehenden JGBs mit Laufzeiten unter 10 Jahren, bei einigen Emissionen hält sie sogar über 90 Prozent. Aufgrund der Marktdominanz der BOJ bei Kurzläufern haben sich die Zinssätze am langen Ende der Kurve zu einem Ablassventil entwickelt.
Die Politik kann gegensteuern…
Wir gehen davon aus, dass Japans politische Entscheidungsträger Instrumente zur Verfügung haben – und vermutlich auch einsetzen werden –, um Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage zu entschärfen:
• Das Finanzministerium (MOF) könnte das Emissionsmanagement aktiver gestalten, etwa durch kürzere Planungsintervalle (vierteljährlich statt jährlich), um einen besseren Kompromiss zwischen Planungssicherheit und Anpassungsfähigkeit zu finden. Derzeit legt das MOF sein Emissionsvolumen und die Verteilung auf Laufzeiten ein Jahr im Voraus fest – anders als etwa das US-Finanzministerium mit seinen quartalsweisen Anpassungen.
Die BoJ könnte ihre Präsenz am Markt weiter verringern – durch gezieltes Quantitative Tightening (QT). Paradoxerweise könnte dies sogar zur Stabilisierung beitragen: Wenn die Notenbank weniger kurzlaufende Anleihen hält, würde sich der Druck auf das lange Laufzeitende verringern, und marktbasierte Preisbildungsmechanismen könnten sich wieder besser entfalten.
... aber Risiken und Unsicherheiten bleiben
Wir glauben, dass die politischen Entscheidungsträger in Japan bestrebt sein wird, eine Ausweitung der Volatilitätsphase hin zu einem systemischen Risiko zu vermeiden. Denn es besteht die Gefahr, dass Anleger zunehmend höhere Laufzeitprämien fordern, wodurch die Anfälligkeit der öffentlichen Finanzen sowie die Risiken für die Finanzstabilität weiter zunehmen könnten.
Es sei angemerkt, dass diese Debatte zu einem Zeitpunkt stattfindet, an dem Finanzpolitik und Verschuldungsgrade weltweit erhöhte Beachtung finden. So haben wir Anfang dieses Jahres eine Versteilerung der deutschen Renditekurve gesehen, nachdem zusätzliche Verteidigungsausgaben angekündigt wurden, ebenso wie eine Versteilerung der US-Staatsanleihenkurve, als der amerikanische Kongress einen Gesetzentwurf für zusätzliche Steuersenkungen vorlegte.
Auch in Japan halten wir ein gewisses Maß an zusätzlicher fiskalischer Lockerung als Reaktion auf den von der US-Zollpolitik ausgelösten Nachfrageschock (und den Druck auf die weltweiten Verteidigungsausgaben) für wahrscheinlich. Diese Lockerung müsste gezielt und sorgfältig mit der Schuldenverwaltung koordiniert werden, um einen übermäßigen Anstieg der fiskalischen Risikoprämie zu vermeiden.
Für politische Entscheidungsträger, die mit fiskalischen Herausforderungen und strukturellen Marktherausforderungen konfrontiert sind, könnte ein aktives Schuldenmanagement wichtiger denn je sein – insbesondere mit Blick auf den zunehmenden globalen Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der Anleger bei einer stetig steigenden Anzahl weltweiter Staatsanleihen-Emissionen.
Schlussfolgerungen für die Geldanlage
Die jüngsten Bewegungen an den JGB-Märkten dürften globalen Investoren wieder ins Gedächtnis rufen , dass Zeiten erhöhter makroökonomischer Volatilität und Unsicherheit zugleich Chancen bieten können. Anders als in der Zeit vor der Pandemie, als Anleihen oft niedrig oder sogar negativ rentierten, können Anleger heute über die globalen Rentenmärkte hinweg diversifizieren und von attraktiven Anfangsrenditenprofitieren.
Obwohl die höhere Volatilität voraussichtlich anhalten wird, sind wir der Ansicht, dass die Bewertungen der JGBs für ausländische Investoren, die Rendite und Diversifizierung in globalen festverzinslichen Anlagen suchen, attraktiv sein könnten.
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