Roelof Salomons, BlackRock Investment Institute, kommentiert das Ergebnis der heutigen Sitzung der Europäischen Zentralbank (EZB):
• „Warum handeln, wenn die Lage gut ist?“ Wie allgemein erwartet, hat die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins bei 2% belassen – und dies mit dem kürzesten Statement seit rund fünf Jahren begründet. Die anschließende Pressekonferenz verlief unspektakulär, zeigte jedoch einen leicht restriktiveren Ton als von uns erwartet. Wir gehen weiterhin davon aus, dass es sich um eine Sommerpause, nicht aber um das definitive Ende des Zinssenkungszyklus handelt. EZB-Präsidentin Christine Lagarde verwies auf mögliche inflationssteigernde Auswirkungen von Zöllen – obwohl sich diese in Europa, aufgrund währungsbedingter Effekte, eher dämpfend auf die Inflation auswirken könnten.
• Zeitpunkt für nächste Zinssenkung bleibt offen. Die EZB hat sich erwartungsgemäß nicht auf weitere Schritte festgelegt. Lagarde betonte in der Pressekonferenz, dass die Währungshüter mittelfristig mit einer Inflation nahe 2% rechnen. Doch die anhaltende Unsicherheit erlaubt es der EZB, an ihrem bewährten Ansatz festzuhalten: Datenabhängige Entscheidungen von Sitzung zu Sitzung und ohne verbindliche Guidance.
• Zölle als Unsicherheitsfaktor. Die bevorstehende Zoll-Entscheidung zum 1. August sorgt für Zurückhaltung. Ob es zu höheren Zöllen kommt oder eine Einigung erzielt wird, ist noch offen – beides könnte Einfluss auf die Inflationsentwicklung haben. Wir sehen weiterhin Spielraum für eine weitere Zinssenkung der EZB im Laufe dieses Jahres, halten den Zeitpunkt jedoch für weniger vorhersehbar als zuvor. Ein Lichtblick ist, dass die Gesamtinflation inzwischen unter 2% gefallen ist; auch der Inflationsdruck im Dienstleistungssektor hat deutlich nachgelassen.
• Globale Politikverwerfungen schaffen Unsicherheit und Reformdruck. Die weltweiten wirtschafts- und geopolitischen Verschiebungen lösen nicht nur Besorgnis aus, sondern auch ein stärkeres Bewusstsein für notwendige Reformen des europäischen Wachstumsmodells. Eine Folge davon: verstärkte fiskalische Impulse, die die Inflation voraussichtlich über das Niveau der Vorpandemiezeit hinaus anheben werden. In globalen Rentenmärkten bevorzugen wir weiterhin europäische Langläufer und Unternehmensanleihen gegenüber US-Papieren.
• Europäische Aktien auf „neutral“ – positive Perspektiven erfordern Strukturreformen. Wir stuften europäische Aktien bereits zu Jahresbeginn auf „neutral“. Ein klar positiver Ausblick hängt jedoch davon ab, ob Europa seine Wettbewerbsfähigkeit stärken und das Produktivitätswachstum ankurbeln kann. Ob sich Europas Aktienmärkte nachhaltig erholen können, hängt maßgeblich von angebotsseitigen Strukturreformen ab. Selektive Chancen sehen wir aktuell insbesondere im Finanzsektor sowie bei Industrieunternehmen mit Bezug zu Verteidigungs- und Infrastrukturausgaben.
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